Wegzaubern

Animierter Dokumentarfilm, Animated Found Footage, 7 Min.

Die geschickte Montage von Fragmenten aus den Krankenakten von Patientinnen der psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zeichnet ein schmerzliches kollektives Porträt von Künstlerinnen, die als psychisch „krank“ weggesperrt wurden. Die intime Erzählung, der Soundtrack aus Waterphone-Improvisationen und die Verwendung historischer Laterna-Magica-Filme machen die beklemmende Atmosphäre dieses Found-Footage-Animadok-Films aus.

Victor Orozco, DOK Leipzig

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WEGZAUBERN entstand aus der Beschäftigung mit Biografien von Patientinnen, deren künstlerische Arbeiten in der Prinzhorn-Sammlung vertreten sind. Mich beeindruckt, wie die Frauen versuchten, sich in einer existenziellen Notsituation mittels künstlerischer Arbeit selbstzuvergewissern.

WEGZAUBERN arbeitet mit originalen 35mm-Endlosfilmen für Laterna Magica aus der Zeit um 1900 – also gezeichneten, oftmals rotoskopierten Filmen aus der Lebenszeit der Künstlerinnen. Diese Filmschleifen für Laterna-Magica-Filmprojektoren habe ich in den letzten Jahren gesammelt und einzelbildweise eingescannt. Aus dem Material wählte ich Alltagsszenen mit Frauen aus – oft witzige Situationen mit Tänzerinnen, Zauberinnen, Wäscherinnen. Aus den Trickfilmszenen sowie einer Collage aus Textfragmenten der Krankenakten rekonstruiere ich eine fiktive Biografie.

WEGZAUBERN ist vielleicht der erste Animated Found Footage Film der Filmgeschichte.

Sie werden als Töchter gutbürgerlicher Familien oder der Arbeiterschicht geboren. Sie wachsen als introvertierte oder extrovertierte Mädchen auf. Sie heiraten früh, sie heiraten spät, sie kriegen viele Kinder, keine Kinder, verlieren Kinder. Sie lernen einen Beruf, sie sind Hausfrau. Sie sind alle unterschiedlich. Doch sie haben zwei Dinge gemeinsam. Sie alle sind Künstlerinnen. Und werden als „psychisch Kranke“ in Nervenheilanstalten eingesperrt. Die Filmemacherin und Künstlerin Betina Kuntzsch hat sich für WEGZAUBERN in den Krankenakten von Patientinnen der psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg umgesehen. Fragmente dieser Akten bilden die textliche Grundlage ihres sechsminütigen Films. Sachlich, knapp und im Protokollstil werden die Diagnosen verlesen. Auf visueller Ebene benutzt Kuntzsch historische Laterna-Magica-Filme, die immer wieder das Thema Zaubern aufgreifen. Oft sind junge Frauen zu sehen, die im Haushalt zaubern, die den Tisch decken. Oder kleine Kinder, die miteinander spielen. Akustisch ist der Film untermalt mit Waterphone-Improvisationen. Im Zusammenspiel ergeben der fast schon distanziert wirkende Text, die unschuldigen Impressionen und der subtile Klangteppich eine unglaublich dichte und fast schon unheimlich anmutende Atmosphäre, die zwar absurd wirkt und doch so viel unbarmherzige Grausamkeit gegenüber den Frauen offenbart, die einfach nur Künstlerinnen sein wollten. Und genau das wollte die Gesellschaft einer vergangenen Zeit nicht zulassen. Ein klug gebauter Found-Footage-Film, der noch lange im Betrachter nachwirkt. Und der den namenlosen Frauen, über die er spricht, großen Respekt zollt.

Pressetext der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW)

Videostills

Credits

WEGZAUBERN (Deutsche Fassung)/SPIRIT AWAY (English version)
36 Laterna Magica Films aus der Zeit um 1900
Textfragmente aus Biografien der Künstlerinnen der Prinzhorn-Sammlung
Regie: Betina Kuntzsch
Musik: Joachim Gies
Sprecherin (Engl. version): Merrily Jones

Festivals

DOK Leipzig, 2015

Tricky Women Wien, 2016
2FICAE Valencia, 2016
Monstra Lissabon, 2016
IFFF Köln, 2016
EMAF Osnabrück, 2016
IKFF Hamburg, 2016
MIAF Melbourne, 2016
ANIMASIVO, Mexico City, 2016
Fantoche | Baden/CH, 2016
Festival de cinéma de la ville de Québec, 2016
Animasivo | Mexico City, 2016
The Factual Animation Film Fuss | London, 2016
Women Over 50 Film Festival | Brighton, 2016
Animatou | Genf, 2016
Uppsala International Short Film Festival, 2016
Kasseler Dokfest, 2016
ISFF ZUBROFFKA | Bialystok/POL, 2016
Sommets du cinéma d’animation, Québec, 2016
FRONTDOC Aosta, Italien, 2016

Filmfest Dresden, 2017
Independent Days International Filmfestival Karlsruhe, 2017
DocsBarcelona, 2017
Nikozi Festival, Georgien, 2017
Barcelona International Short Film and Video Festival, 2017
Indie-Anifest, Seoul, 2017
The Animattikon Project, Zypern, 2017
Rencontres Internationales Sciences & Cinémas (RISC), Marseille, 2017

Preise und Auszeichnungen

Deutsche Film- und Medienbewertung FBW:
Prädikat besonders wertvoll

Will man Geschichten erzählen, können historische Daten und Akteneinträge dabei helfen, diese Geschichten mit interessanten Fakten zu füllen. Will man darüber hinaus aber etwas über den Kontext der Geschichte erzählen, so lässt man am besten die Informationen für sich sprechen. Genau so verfährt die Filmemacherin und Künstlerin Betina Kuntzsch in ihrem Animationsfilm WEGZAUBERN.

Auf der Tonebene hören wir die Akteneinträge von Patientenakten aus einer Nervenheilanstalt. Die erwähnten (aber nicht mit Namen) Patienten sind allesamt weiblich, haben aber unterschiedliche Biografien und Hintergründe, haben sogar in unterschiedlichen Zeiten gelebt. Sie alle eint aber das Streben nach Kunst, nach Selbstverwirklichung, nach Kreativität. Und außerdem eint sie, dass genau dies nicht gerne gesehen war. Kuntzsch setzt den sehr klug gewählten Aktenfragmenten, die mit ruhiger und sachlicher Stimme eingesprochen werden, Bilder von einer vergangenen Zeit entgegen. Es sind 35mm-Endlosfilme für eine Laterna Magica, die Motive des Zauberns in jedweder Form aufgreifen. Die Jury bemerkte, wie gut durchdacht das Konzept des Films ist. Nicht nur erzeugen die Filme an sich ein Gefühl der Historie. Auch das Material selbst, das mit Kratzern und durch eingeblendete Filmstreifen markiert ist, wird als etwas „Vergangenes“ greifbar gemacht. Und obwohl man als Zuschauer sich erst einmal in die seltsam distanzierte Vortragsweise der Sprecherin einfügen muss und die Verbindung mit den animierten Figuren nicht sofort erkennen kann, lässt man sich in den Film hineinfallen. Die Kritik, die Kuntzsch an der Behandlung der Künstlerinnen äußert, versteckt sich gekonnt und raffiniert hinter der kalten Wahrheit des geschriebenen Worts. Automatisch ergänzt man im Kopf die angerissenen anonymen Biografien der Frauen.

Das einzige, was die Jury als etwas kritisch ansehen konnte, war die etwas zu kurz geratene Einblendung an Hintergrundinformation, die am Ende als Infotafel erscheint. Zu kurz, aber dennoch als Auftakt zu interessanten Gesprächen und Diskussionen sehr geeignet. Die Jury verleiht dem Film, der es in ihren Augen schafft, gleichzeitig Geschichte und Geschichten zu erzählen, das höchste Prädikat „besonders wertvoll“.

Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW), 2015

DOK Leipzig 2015:
Goldene Taube Internationaler Wettbewerb animierter Dokumentarfilm

Jurybegründung: Eine optisch atemberaubende, widersprüchliche, ernste und lustige, medienreflexive Untersuchung der Geschlechterrollen. Der Film stellt sich als eine brillante Symbiose aus Animation mit gefundenem Filmmaterial und einer Collage von Berichten über Künstlerinnen aus psychiatrischen Anstalten dar.

DOK Leipzig, 2015

Tricky Women Wien, 2016:
Special Mention of the Jury

Images that evoke the magical beginnings of cinema, when everything seemed possible, and a commentary that gradually unveils the impossibilities and limitations of women’s lives. A short film that highlights the past, but also our ongoing conflicts and struggles in the present.

Tricky Women Wien, 2016

2FICAE Valencia:
Best Animation Film

2FICAE Valencia, 2016

ANIMATOU Genf:
Prix Animatou Docanim

ANIMATOU Genf, 2016

The Factual Animation Film Fuss London:
Best Animated Documentary

WOFFF Brighton:
3rd Place Animation

Filmfest Dresden:
Lobende Erwähnung

Filmfest Dresden, 2017